Am 7. Juni 2015 sucht der Erzgebirgskreis einen neuen Landrat oder eine neue Landrätin. Zur Wahl stehen drei Kandidaten und eine Kandidatin: Antje Feiks von DIE LINKE, Michael Weichert von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Ronny Kienert von der SPD und der amtierende Landrat Frank Vogel von der CDU. Ich habe allen vier Kandidaten Fragen gesendet: zu ihrer Person, zum Erzgebirgskreis und dazu, was sie als Landrat bzw. Landrätin bewegen wollen.
Hier sind die Antworten von Michael Weichert, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Stellen Sie sich bitte vor: Wer sind Sie?
Ich bin Michael Weichert, Landratskandidat von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Erzgebirgskreis. Ich habe meine Kindheit in Sachsenburg verbracht, bin in Leipzig zur Schule gegangen, habe Gasmonteur und Kellner gelernt und Theologie studiert. Ab 1983 war ich selbstständiger Gastronom, danach zwei Jahre Projektleiter in der BioCity Leipzig und in den letzten 10 Jahren Abgeordneter im Sächsischen Landtag. Innerhalb meiner Fraktion war ich zuständig für Wirtschaft und Tourismus sowie für Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Alles Themen, die auch im Erzgebirge eine wichtige Rolle spielen.
Warum sind Sie Politiker?
Geprägt als Pfarrersohn, wollte ich mich schon als Schüler, Jugendlicher und später als Erwachsener gesellschaftlich engagieren. In der DDR war das nur in der Kirchgemeinde möglich. So wurde ich 1989 Mitbegründer des Neuen Forums in Leipzig, dann Friedliche Revolution und Runder Tisch der Stadt Leipzig. Nach 1990 gründete ich zwei Bürgervereine, gab eine Stadtteilzeitung heraus und wurde in den Stadtrat gewählt. Im Ehrenamt, in der Politik kann man gestalten. Dafür muss man Mehrheiten organisieren, d. h. die betroffenen Bürgerinnen und Bürger mitnehmen und überzeugen. Das macht mir Spaß, das mache ich gern und ich glaube auch, dass ich das kann.
Ihre bisherige politische Laufbahn in fünf Sätzen:
- Friedliche Revolution.
- 15 Jahre Stadtrat in Leipzig, sechs davon als Fraktionsvorsitzender.
- 10 Jahre Abgeordneter im Sächsischen Landtag, hier zuständig für Wirtschaft, Tourismus, Landwirtschaft und Verbraucherschutz.
- Nach den Balkankriegen (1992–1994) verstärktes Engagement in Bosnien und Herzegowina (BuH), dafür wurde ich 2008 zum Honorarkonsul von BuH für Deutschland gewählt.
- Jetzt Landratskandidat von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.
Warum wollen Sie Landrat des Erzgebirgskreises werden?
Das Erzgebirge hat enormes Potential: die Menschen, die ich schon seit meiner Kindheit kenne. Die Wirtschaft, wo es eine gute Entwicklung gibt, der man mit neuen, kreativen Ideen und entsprechenden Bildungsmöglichkeiten einen neuen Schub geben kann. Da ist der Tourismus, der mit dem Welterbe-Titel (den einige bisherige Politiker nicht wollten) noch einmal eine deutliche Steigerung erfahren kann. Die mögliche innovative Weiterentwicklung der Mobilität, mit der man Vorreiter für Regionen mit Abwanderung in ganz Deutschland werden kann. Regionale Wirtschaftskreisläufe, gesunde Ernährung, Verbesserung des Sicherheitsgefühls in den Grenzregionen und das Erkennen von Chancen für die Gesellschaft, wenn man Flüchtlinge und Zuwanderer vernünftig integriert – das alles empfinde ich als Herausforderung, die ich als Landrat gemeinsam mit den Erzgebirgern gern angehen möchte.
Warum sind Sie als Landrat geeignet?
Meine langjährigen Erfahrungen sowohl als Unternehmer als auch als Politiker in verschiedenen Funktionen sowie als Verantwortungsträger im ehrenamtlichen, bürgerschaftlichen Engagement sind eine gute Grundlage für einen Landrat. Meine Erfahrung im Konsularischen Korps wird nicht schaden und die langjährigen Moderationserfahrungen – beginnend am Runden Tisch 1990 – sind sicher wertvoll bei einer neuen Bürgerbeteiligungsoffensive für regionale Entscheidungen und den „Masterplan Erzgebirge 2025“.
Was ist Ihre Verbindung zum Erzgebirgskreis?
Meine Kindheit in Sachsenburg, ok, das ist Vorerzgebirge! Seitdem immer wieder Besuche bei Freunden, viele Reisen und Radtouren, persönliche Begegnungen im Tourismus, in der Landwirtschaft, dem Maschinenbau, bei Zulieferern und Bildungseinrichtungen, vielen Gesprächen und Besuchen bei Bürgermeistern und befreundeten Landtagsabgeordneten. Während der Abgeordnetenzeit habe ich auch Projekte im Erzgebirge realisiert, beispielsweise gemeinsam mit dem Landestourismusverband eine Studie zur Lückenschließung touristischer Wegesysteme in der Region Eibenstock erstellt.
Was ist für Sie „typisch Erzgebirge“?
Das Neunerlei und der Getzen.
Der Schwibbogen und das Raachermannel.
Die Mundart.
Der Stülpner Karl.
Die Bergbautradition und der Steigermarsch.
Die Wiege der Industrialisierung.
Die Schneesicherheit in Oberwiesenthal.
Radwegtouren.
Montanregion …
Welche Vision bzw. Vorstellungen haben Sie für den Erzgebirgskreis, konkret bezüglich …
- mehr Bürgerbeteiligung:
Seit der Gründung des Erzgebirgskreises beklagen viele Bürger, dass die Wege zu den Kreisbehörden zu weit sind. Darum müssen wir Bürgeranliegen auch fernab der Kreisstadt aufnehmen können. Sei es durch Sprechstunden vor Ort oder durch mehr Möglichkeiten, Verwaltungsangelegenheiten übers Internet zu klären.
Zudem müssen wir den Sachverstand der Bürger mehr in die Kreispolitik einbeziehen. Ich schlage daher vor, dass der Kreistag und seine Ausschüsse zu gewissen Themen sachverständige Bürger anhören und in die Entscheidungsfindung einbeziehen.
Außerdem brauchen wir ein vernünftiges Rats- und Informationssystem, wo jeder Bürger alle Vorlagen und Beschlüsse des Kreistages nachvollziehen kann. Auch über die Liveübertragung von Kreistagssitzungen ins Internet soll noch einmal diskutiert werden.
- ÖPNV:
Der Erhalt der Bahnstrecken und des Busnetzes im Landkreis muss oberste Priorität haben. Die Landesregierung hat die Zuschüsse für den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) in den letzten Jahren massiv gekürzt. Dadurch ist der Druck auf den Verkehrsverbund Mittelsachsen derart gestiegen, dass über kurz oder lang eine Einstellung des Bahnverkehrs und von immer mehr Buslinien zu befürchten ist. Als Landrat werde ich daher bei der Landesregierung mit Nachdruck für den Erhalt der Bahnstrecken und eine Rücknahme der Mittelkürzungen werben.
Zudem muss der Landkreis als Gesellschafter der Regionalverkehr Erzgebirge GmbH (RVE) sicherstellen, dass sich Bus und Bahn optimal ergänzen, anstatt sich in Konkurrenz um öffentliche Gelder gegenseitig zu schwächen. Es ist für den Erhalt des ÖPNV im Erzgebirgskreis schlicht unverständlich, wenn Bus und Bahn zeitgleich dieselben Linien bedienen und an Übergangsstellen keine Anschlusssicherheit besteht. Stattdessen müssen die Buslinien des RVE und die Angebote der Erzgebirgsbahn bzw. City-Bahn zeitlich und räumlich so aufeinander abgestimmt sein, dass eine möglichst hohe Taktung und eine gute Erreichbarkeit sichergestellt sind. Hier kommt der Fortschreibung der Nahverkehrsplanung (2015–2020) über den Verkehrsverbund Mittelsachsen eine Schlüsselfunktion zu.
Zudem werde ich als Landrat anstreben, über den Zweckverband des VMS eine Übergangstariflösung in die benachbarten Verkehrsverbünde (Verkehrsverbund Vogtland, Mitteldeutscher Verkehrsverbund und Verkehrsverbund Oberelbe) zu finden. Bislang sind Pendler aus dem Erzgebirgskreis heraus in andere Regionen auf bis zu drei Fahrscheine angewiesen. Dies grenzt an Kleinstaaterei und motiviert nicht zum Umstieg auf die bereits schon verlässlichen Angebote des ÖPNV. Längerfristig streben BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ein landesweites Tarifsystem an. Nur so kann eine nachhaltige Verkehrspolitik gelingen.
- Drogenprävention:
Mit dem rasant wachsenden, missbräuchlichen Konsum von „Crystal Meth“ sieht sich nach Presse- und Polizeiberichten, aber auch nach Beobachtungen und Erfahrungen von Eltern und Pädagogen die Erzgebirgsregion in besonders starkem Maße konfrontiert.
Gerade unter Minderjährigen ist der Drogenkonsum im Erzgebirge stark verbreitet – das ist mehr als besorgniserregend. Liegt das durchschnittliche Einstiegsalter in der Bundesrepublik bei 17,4 Jahren, liegt es im Erzgebirge schon bei 13/14!
Wir brauchen eine bessere personelle Ausstattung von Suchtberatungsstellen und auch in den Schulen muss bereits im Grundschulalter auf die Gefahren des Drogenkonsums hingewiesen werden.
Durch den Polizeiabbau der letzten Jahre ist es kaum noch möglich, eine ausreichende polizeiliche Drogenprävention zu gewährleisten. Die Schulen im Kreisgebiet müssen sich mit wochenlangen Anmeldezeiten abfinden, ehe der polizeiliche Drogenberater ihre Bildungseinrichtung aufsuchen kann. Diese Missstände sollte man kennen und den nötigen Druck auf die sächsische Landesregierung ausüben – auch hinsichtlich eines gut finanzierten Suchthilfeplanes.
- Fachkräftemangel:
Es ist mir wichtig, ein attraktives Umfeld für Unternehmensgründer und Leute mit neuen Ideen zu schaffen. Denn das wirkt ansteckend auch für andere – quasi ein „Berggeschrey 4.0“. So sollte es bei der Wirtschaftsförderung ein sogenanntes FabLab geben, also eine Werkstatt, in der man Prototypen herstellen kann, für die es noch kein Wagniskapital gibt. Schnelles Internet für alle ist ebenso prioritär. Hier haben andere Landkreise mehr getan. Das muss man aufholen.
- Überalterung:
2010 hatte der Erzgebirgskreis noch knapp 370.000 Einwohner, heute sind es noch 350.000 und im Jahr 2025 werden es nur noch 300.000 Einwohner sein. Es schrumpft die Gruppe der Jungen und Erwerbstätigen, während der Altersdurchschnitt der Bevölkerung im Vergleich zu Großstädten unverhältnismäßig stark steigt.
Der demografische Wandel ist eine Querschnittsaufgabe, die alle Politikbereiche betrifft. Wichtig ist aus meiner Sicht vor allem die Sicherung eines ausreichenden Bildungsangebots, die Gewährleistung einer bedarfsgerechten gesundheitlichen Versorgung und Pflege, eine Stärkung der regionalen Wirtschaft, schnelles Internet bis ins letzte Dorf, eine bedarfsgerechte Wohnraumplanung, die Anpassung der Verkehrsplanung an reale Ansprüche verbunden mit einem angebotsorientierten Mobilitätskonzept. Erforderlich ist ferner die Beachtung des demografischen Wandels bei sämtlichen öffentlichen Investitionen. Aber natürlich auch ein Stopp der Abwanderung durch ausreichende Angebote und Verdienstmöglichkeiten für junge Leute.
Bis 2030 steigt neben der Gruppe der über 65-Jährigen auch die der Personen mit Pflegebedarf um knapp ein Viertel. Darauf müssen sich die Strukturen im Landkreis einstellen. Bereits seit 2008 machen sich BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Erzgebirge für ein strukturiertes und einheitliches Überleitungsmanagement zwischen allen Bereichen der Gesundheitsversorgung stark. Bislang wurden diese Aspekte von den Entscheidungsträgern der Landkreisverwaltung kleingeredet. Dies muss der Vergangenheit angehören. Als Landrat werde ich mich für ein landkreisweites Überleitungsmanagement, die wohnortnahe Beratung sowie eine unmittelbare spezialisierte ambulante Palliativversorgung für alle betroffene Personen mit Leistungsanspruch einsetzen.
- Ärztemangel:
Attraktive Städte und Dörfer wird es nur geben, wenn wir die weitere Ausdünnung öffentlicher Einrichtungen stoppen. Dies betrifft auch ganz besonders die Sprechstunden von Hausärzten. Wir müssen die konkreten Bedürfnisse von Alt und Jung vor Ort ernst nehmen und wieder konsequent in den Mittelpunkt von öffentlichen Investitionen stellen.
Schon heute arbeiten im Erzgebirge beispielsweise eine ganze Reihe von Ärzten und Pflegekräften aus Tschechien oder Polen. Sie helfen dabei, den Ärzte- und Pflegemangel zu mildern. Dennoch gibt es immer wieder Vorbehalte, rechtliche Unsicherheiten und Berührungsängste gegenüber der Einstellung und Ausbildung von Migranten. Das muss sich ändern. Schließlich sind wir auf diese Zuwanderung von Ärzten und Pflegekräften dringend angewiesen.
- Umweltschutz:
Der Natur- und Umweltschutz ist eines meiner Kernanliegen. Konkret möchte ich mich als Landrat dafür einsetzen, endlich den Flächenverbrauch im Landkreis zu stoppen und den Boden zu schützen. Zudem werde ich mich für flächendeckend wirkungsvolle Aktions- und Luftreinhaltepläne in strikter Umsetzung der EU-Vorgaben einsetzen.
Besorgniserregend finde ich auch den Verlust von Straßen- und Alleebäumen im Erzgebirgskreis. Jährlich werden vom Landkreis ca. 850 Bäume an Bundes-, Staats- und Kreisstraßen gefällt, während dem nur 100 Neupflanzungen an den Kreisstraßen entgegenstehen. Wenn das so weitergeht, werden unsere Enkel im Erzgebirgskreis einmal keine Straßenbäume mehr antreffen. Ich werde daher einen Aktionsplan ins Leben rufen, der den Schutz und Erhalt der Straßenbäume im Erzgebirgskreis zum Ziel hat.
Für einen effektiven und ökologischen Hochwasserschutz bedarf es ebenfalls eines umfangreichen Aktionsplans. Dazu zählt unter anderem, natürliche Bach- und Flusslandschaften wiederherzustellen. Das gibt den Gewässern ihre Eigendynamik zurück.
- Umbau des Erzgebirgsstadions:
Um das Stadion wieder in einen soliden Zustand zu versetzen, müssten allenfalls 10 Mio. Euro investiert werden. Darüber kann man sich verständigen, vor allem, wenn sich der Verein und die Fans angemessen beteiligen, so wie im grünregierten Freiburg. Im Kreistag stehen mittlerweile aber Bauentscheidungen mit einem Volumen von fast 25 Mio. Euro an. Mit Verlaub, das sind Luxusaufwendungen, die wir uns als ein leider noch einkommensschwacher Landkreis nicht leisten können.
Zudem ist ein Unding, dass Landrat Vogel zugleich Aufsichtsratsvorsitzender des FCE ist und sich deshalb beim Stadion für befangen erklärt. Er lädt die gesamte politische Verantwortung für das Stadion bei seinem Beigeordneten Stark ab. Wenn Frank Vogel das Stadion will, dann soll er dafür auch den Kopf hinhalten.
- Tourismus:
Beim Tourismus besteht die Herausforderung darin, gezielt mehr Gäste aus dem Ausland zu gewinnen und die Aufenthaltsdauer zu erhöhen, wie dies etwa im Schwarzwald wieder der Fall ist. Hier verspreche ich mir viel vom Welterbe-Titel, den es geschickt einzusetzen gilt. Leider wurde diese Vision anfangs von vielen Lokal- und Landespolitikern zu lange ausgebremst.
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Website von Michael Weichert: www.michael-weichert.de
(Foto: Michael Weichert © Anja Jungnickel)