Gastgedicht von Petra Richter: „Schorschs Zeit der Träume“

Im Advent gibt es wieder ein Gedicht von Petra Richter. Vielen Dank. :)

(Und ihre anderen Gedichte und Texte finden sich hier: klick.)

Schorschs Zeit der Träume

Der Schorsch hat sich noch nicht gerührt.
Ob er das Kommen des Winters nicht spürt?
Der wagte im Oktober schon einen Vorstoß.
Der Himmel war bedeckt, trüb und freudlos.

So hab ich Schorsch im Dezember geweckt.
Gähnend hat er seine Glieder gestreckt.
Doch einige Zeit verstreicht,
ehe er mir seine Leiter reicht.

Dann steigt er ohne Pardon
aus seinem Schlafkarton.
Und schon hör ich seine verrückten Ideen
zu mir herüberwehn.

Einiges haben wir ja schon durchgemacht,
haben gestritten und gelacht.
Er räus­pert sich und setzt zum Reden an –
mein einfalls­rei­cher Räuchermann.

Er erzählt von einem leckeren Menü,
dazwi­schen eine Tierrevue.
Die Darbietungen sind atem­rau­bend und riskant –
das Licht ist weih­nacht­lich und fulminant.

Interessant ist da eine Parodie
auf Zirkuswelt und Clownerie.
Verträumt schaut Schorsch in den Flur
und spricht von einer Pferdedressur.

Er fühlt sich schon als Befehlshaber
über drei glän­zend schwarze Araber.
Zu deren Antriebe
braucht er nicht mal Peitschenhiebe.

Die Ausführung der Aufgabe erfolgt durch mini­males Signal.
So steht es im Reglementmanual.
Galopp-Pirouetten, Piaffen, Voltigieren –
ja sogar das Kavalieren will er probieren.

Stehend auf dem trabenden Pferderücken,
will er die härtesten Nüsse zerdrücken.
Die Manege muss er vollschmauchen,
man sieht die Pferde im Dunst abtauchen.

Hat sich der Nebel verzogen,
laufen sie Tücher flech­tend im Bogen.
Schorsch, der große Meister und Dompteur,
leitet Vollbluthengste wie Fäden durchs Nadelöhr.

Durch Geschicklichkeit und Talent
entsteht ein wunder­schönes Posament.
Schwer ist für Pferde so ein Reigen.
Es ist schier unglaub­lich, was sie zeigen.

Auf dem Höhepunkt werden die Rösser geheißen
ihre vorderen Beine hochzureißen.
Alle drei reagieren im Nu
und tippeln auf den Hinterläufen auf Schorsch zu.

Sie schlagen Luftlöcher mit ihren Vorderhufen.
„Gogogo“, wird er ihnen dann zurufen.
Man kennt keine Pferde, die sich verbeugen?
Schorsch will das Publikum als Zeugen.

Für das darge­bo­tene Leckerli sie weit runter müssen.
Sie werden mit den Nüstern fast den Boden küssen.
Das ist Perfektion in höchstem Maße.
Auch die Gäule zeigen keinerlei Ermüdungsphase.

Als Schorsch mit der Zunge schnalzt
sich jedes Pferd unten im Halbmond walzt.
Das erfolgt völlig synchron,
Dafür gibts ne Streicheleinheit als Lohn.

Man soll glauben, das Atemanhalten genügt.
Nein, das Springen über bren­nende Stangen wird angefügt.
Im wilden Galopp stieben die Sägespäne
und es flat­tert die Mähne.

Man sieht ihre Nüstern beben,
wenn sie mit gestreckten Körpern durchs Feuer schweben.
Dann öffnet sich der Vorhang,
in der Manege verbleibt nur ein Mustang.

Alles, was die Pferdeintelligenz vermag,
fördert Schorsch an den Tag.
Was macht dieses eine Ross wohl dann?
Ja, es zündet einen Lichterbaum an.

Mit dem Tippen an Schorschs Manschette
tritt es auf den Schalter der Lichterkette.
Man muss ja eines unbe­dingt beachten:
Das ist eine Show für Weihnachten!

Die Kerzen versprühen ihre Funken
und machen alle sinnes- und freudetrunken.
Dieser fest­liche Glanz
rahmt einen schim­mernden Sternentanz.

Höher und höher wird Schorsch die Ansprüche schrauben,
Ins Spiel kommen nun zehen­ge­fie­derte Tauben.
In der Ecke auf einem Deckchen
finden die Vögel kleine Briefchen und Päckchen.

Abgerichtet aufs Verteilen,
sieht man sie mit Geschenken die Zuschauer anpeilen.
Schorsch legt inzwi­schen mehrere Apfelstücke in Schalen.
Bringen die Tauben die Stücke zum Orientalen?

Schließlich muss man auch an die Tiere denken
und ihnen eben­falls ne Kleinigkeit schenken.
Dann soll die Schwadron angreifen.
Das Ziel ist ein in der Luft hängender Reifen.

So eine Taubengesellschaft hat viele Mitglieder.
All diese lassen sich nach getaner Arbeit dort nieder.
Sie gurren sich ihre Erlebnisse weg von der Leber
und inter­es­sieren sich nicht für ihren Arbeitgeber.

Der Täubchen grel­lendes Gurren
trifft auf Schorschs Schnurren.
Wie die mäuse­fan­gende Katz
wartet er auf seinen Einsatz.

Die Tauben müssen zurück in ihren Schlag
und das möglichst noch am heutigen Tag.
Nun wird Schorsch zum Häscher.
Dazu braucht er einen Kescher.

Alles hat Schorsch einkalkuliert,
man muss damit rechnen, dass mal eine nicht pariert.
Mit Zauberstabglocke und Zylinder
ist die Angelegenheit was für Kinder.

Schorsch braucht den Stock nur schwingen
und „Kling, Glöckchen, klin­ge­lin­ge­ling“ dazu singen.
Täubchen für Täubchen wird im Hut abtauchen,
Schorsch kann genüss­lich dabei rauchen.

„He“, sag ich, „mein liebes Männlein,
jetzt halt doch mal ein.“
Doch er bleibt in seiner Fahrrinne
und hält nicht inne.

Schorsch ist doch kein Reiter.
Durch die Weihnachtszeit bin ich wieder sein Begleiter.
Still denk ich: Nicht einen Sommer über­lebt er unbeschadet.
Der hat wieder zu heiß gebadet.

Das Programm geht nicht abzuspecken.
Schorsch möchte sogar silber­durch­wirkte Decken.
Das Zaumzeug aus feinstem Leder.
Auf den Pferdekopf muss eine weiße Straußenfeder.

Durch meinen Einwand wird sein Feuer noch mehr geschürt,
um die Fesseln werden noch samtene Bandagen geschnürt.
Es gibt auch keinen Verzicht
auf ein stim­mungs­volles Licht.

Alles lässt sich so einloggen.
Das geht sogar noch aufzustocken.
Schorsch lacht ausge­lassen und heiter
und macht natür­lich weiter.

Er möchte sich noch so richtig vertrotteln,
mit fran­sigen Haaren, die zotteln.
Ihn komplet­tiert eine bunte Flickenkluft
mit einer Hose, die pufft.

Weiß geschminkt mit roter Zacke
soll jeder sehn, er hat ne Macke.
Er zupft sich an seiner Halskrause.
Mit einem entsetzten Gesichtsausdruck beginnt die Sause.

Ich stelle ihn auf den Tisch
zu dem auf Tellern liegenden Fisch.
„Hallo“, sagt der Schorsch
zu dem lecker servierten Dorsch.

Ich sehe den Schorsch in Seenot.
„Schorsch“, rufe ich, „der Flossenträger ist tot.“
Ich zeig ihm ne Piratenklappe,
die ich ihm aufs Auge pappe.

So decke ich ihm die Flanke
auf seiner wankenden Planke.
Ich möchte ja nicht, dass er kentert,
wenn er die Gästetische entert.

Unter seine Fittiche
stelle ich noch zwei Sittiche.
Einer setzt sich in seinen Nacken,
der andere kann auf seinen Kolben hacken.

Mit Situationskomik Leute verblödeln,
so wird er sich die Zeit während des Essens vertrödeln.
Mit dem Zeigefinger startet er eine Attacke
auf eine prall gefüllte Backe.

Der Gepiekte erschrickt und muss husten.
Schorsch, der Clown, muss vor Lachen prusten.
Im nächsten Geck
nimmt er einem der Gourmets den Teller weg.

Vorprogrammiert ist das Malheur,
wird Schorsch erst mal zum Tellerjongleur.
Als es die Platte auf dem Stängel entwurzelt,
kommt diese prompt heruntergepurzelt.

Aus der Hand fällt ein Messer
einem der aufmerk­samen Esser.
Zum Fangen hat der Gast nun die Hände frei,
so bricht das Objekt doch nicht entzwei.

Ganz bleibt das gute Porzellanstück
zu Schorschs großem Glück.
So ein Haufen Scherben
würde ja das schöne Dinner verderben.

Eine Kleinigkeit ist blamabel,
tritt er auf die Zinken einer Gabel.
Einen Volltreffer landet der Forkenstiel vorn
und verur­sacht auf Schorschs Stirn ein Horn.

Sogar größer als die Nase wird die Beule
mit so einer schwung­vollen Keule.
Selbst der letzte mit einer Lachhemmschwelle,
begeis­tert sich für eine zweite Gesichtsdelle.

Clown Schorsch ist ein lustiger Geselle,
weg steckt er so eine schmerz­hafte Kamelle.
Da leidet er ein biss­chen stumm,
Nur „alles für das Publikum“.

Tarattertingtarattertong,
irgend­wann fällt der Gong.
Mich beein­druckt diese Redensweise.
In die Runde bläst er ein paar Rauchkreise.

Zufrieden steht Schorsch vor dem Zirkuszelt
und schaut in die tief­ver­schneite Winterwelt.
Zugegeben seine Gedanken sind elitär
und die Regie dazu unheim­lich schwer.

Im Walde hört er was, das schnaubt,
ein Pferd entfernt sich unerlaubt.
Gewährend raucht er seinen geliebten Tannenduft.
Dieser vermischt sich mit der eiskalten Luft.

Seht, sogar die Räuchermänner sind bereit
für die jetzige schil­lernd bunte Zeit.
Sind ihre Ansätze auch etwas uneben –
sie wollen die Spaßgesellschaft aktiv miterleben.